Differenzierungsfaktor Mensch

Differenzierungsfaktor Mensch

Warum sich auch in Zeiten des Online-Handels mit qualifizierten und engagierten Mitarbeitern strategische Wettbewerbsvorteile aufbauen lassen

von Prof. Norbert Hans

Lesedauer etwa 20 Minuten

Der Autor geht der Frage nach, inwiefern in digitalen Zeiten der Mitarbeiter als Differenzierungsfaktor dienen kann, mit dem sich Unternehmen vom Wettbewerb unterscheiden können. Grundsätzlich gilt: Überall dort, wo es im stationären Einzelhandel zu direkten Kontakten zwischen Kunden und Mitarbeitern kommt, kann es entsprechend motivierten und ausgebildeten Mitarbeitern gelingen, eine emotional gefärbte Beziehung zu einem Kunden in Gang zu setzen. Voraussetzung sind Sekundär- oder Ersatzstrategien, also Erlebnis-, Service- und Kommunikationsstrategien. Mit ihnen gelingt es, Differenzierungs- und Alleinstellungsmerkmale aufzubauen. Management und Führungskräfte müssen für die dafür notwendigen motivatorischen Anreize sorgen und Weiterbildungsaktivitäten entfalten, mit denen Mitarbeiter die erforderlichen Kompetenzen erwerben können.

Kapitel 1: Wird der Mensch durch Online-Business überflüssig?

In digitalen Online-Zeiten wird der Mensch in vielen Bereichen durch Maschinen und Robotertechnik ersetzt. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Klaus Mainzer stellt dies provokativ bereits im Titel seines Buches „Künstliche Intelligenz – Wann übernehmen die Maschinen?“ fest und erwähnt das Beispiel des industriellen Internets, „in dem Produktion und Vertrieb sich weitgehend selbstständig organisieren“

Es kann durchaus sein, dass in einigen Jahren Menschen als Autofahrer nicht mehr benötigt werden – was zum Beispiel „machen Millionen Taxi- und Lkw-Fahrer rund um die Welt, wenn autonomes Fahren zum Standard wird“? So fragt Stephan Dörner. Die Drohne substituiert den Postboten, die Deutsche Bahn setzt bereits Postkopter ein. Auf dem Internetportal des Manager Magazins wird auf der Grundlage einer Prognose der Universität Oxford die Frage diskutiert, ob in den nächsten 20 Jahren jeder zweite Job (47 Prozent aller Jobs) verschwinden könnte.

Fest steht: Viele Jobbereiche werden aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung wegfallen.

Tendenz im Online-Business: Die Maschine verdrängt den Menschen

Im Einrichtungshandel droht der Online-Handel den stationären Handel zu ersticken. Wolfgang Hünnekens (Institute of Electronic Business an der Universität der Künste in Berlin, Professor für digitale Kommunikation) fasst die Situation im stationären Handel so zusammen:

Der Verlauf des Kaufs sieht heute doch sehr häufig so aus: Der Verbraucher recherchiert konsequent im Netz. Dann geht er in die Ausstellungsflächen – das ist heute der stationäre Handel –, kehrt wieder zurück ins Internet, sucht nach dem preiswertesten Angebot und erscheint dann wieder im Geschäft – um zu (ver)handeln. Dieses Phänomen gilt nicht nur für junge Menschen, sondern für Kunden sämtlicher Altersklassen. Warum? Weil der Möbelhandel dem Verbraucher mit gewaltigen Rabattaktionen seit Jahren bis zum heutigen Tag beigebracht hat, dass er jedes Produkt auch billiger bekommen kann. Und er bestätigt den Kunden sogar im Alltag darin, dass das mit den niedrigeren Preisen funktioniert. Wenn Rabatte und direktes Feilschen tatsächlich möglich sind, dann spricht sich das sofort über die sozialen Medien überall herum. Wer wundert sich denn dann, dass der Kunde entsprechend reagiert?“

Der Mensch als Verkäufer wird immer weniger benötigt, der Kaufakt ist zu einem Großteil auch ohne seine Beratungsleistung möglich.

Ähnliche Tendenzen gibt es in der Reisebranche – immer mehr Reiseinteressente informieren sich im Internet über ihre Reiseziele und schließen dort auch ihre Buchungen ab. Die Beratung im Reisebüro wird aus Kundensicht oft obsolet.

Und ein Blick in den Finanzdienstleistungs- und Versicherungsbereich zeigt, dass auch hier die Kommunikation zwischen dem Kunden und einem Mitarbeiter nicht immer notwendig ist. Unter dem Stichwort „FinTech“ werden technologische Entwicklungen gefasst, die dazu führen, dass die Abwicklung bestimmter finanzieller Dienstleistungen ohne den Kontakt „von Mensch zu Mensch“ möglich ist.

Der Kunde kann durch jene Technologien zum Beispiel im Bereich des E-Commerce Kaufaktionen durchführen und einen Kredit beantragen und aufnehmen, ohne mit einem Menschen zu interagieren. Die Kreditwürdigkeit wird online geprüft, ohne dass sich ein Berater einschalten muss.

Überweisungen, Bargeldtransaktionen und Geldanlagen – für all das gibt es im Online-Business eine App.

Die Grenzen der Online-Welt

Es gibt allerdings auch Gegenbeispiele, die belegen, dass die Präsenz des Menschen im Kundenkontakt nach wie vor erhebliche Vorteile impliziert und von den Kunden gewünscht wird. In diesem Zusammenhang ist eine Befragung von Relevanz, die 2015 von dem Marktforscher „Konzept und Markt“ erstellt worden ist. Demnach wollen Möbelkäufer ihre Produkte immer noch lieber im Möbelgeschäft kaufen als im Internet. Ein Grund ist, dass die Kunden gerne Probe sitzen, das Produkt mithin ausprobieren möchten. Und dazu brauchen sie jemanden, der sie professionell berät – diese authentische Beratung von Mensch zu Mensch funktioniert vor allem im stationären Handel. Das Online-Business stößt hier an eine Grenze.

Das Befragungsergebnis bedeutet nicht, dass der Einrichtungshandel den Vertriebskanal Internet vernachlässigen soll, Multichannel-Lösungen sind anzustreben. Es verdeutlicht jedoch, dass der stationäre Einzelhandel durch den direkten Kontakt mit dem Kunden gegenüber dem Internet einen strategischen Wettbewerbsvorteil aufbauen kann, bei dem den Mitarbeitern als Trägern des Kundenkontakts eine essentielle Relevanz zukommt.

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Regina M. Baumgärtner in ihrer Dissertation. Sie identifiziert die Beratungsqualität von Reisebüromitarbeitern als einen wichtigen, wenn nicht gar den wichtigsten strategischen Erfolgsfaktor für den stationären Vertrieb. Demnach ist

auch in Zukunft ein größeres Augenmerk auf die weichen Erfolgsfaktoren jedes einzelnen Reisebüromitarbeiters zu richten, um so Beratungsqualität als besondere Dienstleistung, als Luxusleistung in Alternative zum Internet anzubieten. (…) Folglich kommt der Beratungsqualität für die Erfolgssicherung der Reisebüros eine immens große Bedeutung zu.“

Mit Menschen und De-Commoditisierung zum Alleinstellungsmerkmal

Der Faktor Mensch als Differenzierungskriterium vom Wettbewerb hat doch noch eine Chance, auch im Finanzdienstleistungs- und Versicherungsbereich. Trotz FinTech können Banken mit strategischem Weitblick diejenigen Menschen als Kunden gewinnen und binden, für die die menschliche Interaktion noch einen Wert mit Substanz darstellt. Eventuell ist es sogar möglich, diejenigen Kunden zurückgewinnen, die sich bereits auf FinTech und Co. eingelassen haben.

Denn die Banken können sich jetzt endlich wieder vom Wettbewerb differenzieren: über die Kundenzuwendung, die Kundenorientierung und die Kompetenz qualifizierter und motivierter Berater, die den Kunden wahrhaft verstehen können und verstehen wollen. Zumindest in einigen Branchen ist und bleibt der Mensch DAS Differenzierungsmerkmal Nummer 1.

Denn nur der qualifizierte und engagierte Mitarbeiter kann im persönlichen Kontakt Vertrauen aufbauen und Empathie zeigen. Dies ist insbesondere bei Commodities von elementarer Bedeutung.


Commodities sind undifferenzierte, homogene und darum vor allem über den Preis differenzierte Leistungen, die „von der überwiegenden Mehrheit der Nachfrager als austauschbar wahrgenommen werden“. Wer Commodities in seinem Produkt- und Dienstleistungsportfolio hat und sich darum nur über den Preis vom Wettbewerb differenzieren kann, ist existentiell darauf angewiesen, De-Commoditisierungsstrategien zu entwickeln. De-Commoditisierung ist definiert als ein Prozess, „durch den eine Leistung, d. h. ein Produkt oder eine Dienstleistung, im Vergleich zu Wettbewerberangeboten in der Wahrnehmung der Nachfrager als differenziert und/oder einzigartig wahrgenommen“ De-Commoditisierungsstrategien setzen qualifizierte und engagierte Mitarbeiter voraus, die im unmittelbaren Kundenkontakt die Möglichkeit nutzen können, durch ihr Verhalten in der Begegnung und Interaktion mit den Kunden Alleinstellungsmerkmale zu generieren.

Wer bei Produkten und Dienstleistungen, die sich hinsichtlich ihrer Merkmale und der Qualität kaum voneinander unterscheiden, nicht in einen ruinösen Preiswettbewerb getrieben werden will, ist darauf angewiesen, den Aufbau strategischer Wettbewerbsvorteile durch den Faktor „Mitarbeiter“ voranzutreiben und die Mitarbeiter, die Kundenkontakt stehen, mit den entsprechenden fachlichen, sozialen und emotionalen Kompetenzen auszustatten.
Dabei geht es nicht darum, sich gegen die Digitalisierung zu wenden, sondern sie als Mittel zum Zweck zu sehen, nämlich zu dem Zweck, den Kunden wahrhaft zu verstehen und ihm genau das Produkt oder die Dienstleistung anzubieten, mit dem oder mit der er sich seine brennendsten Wünsche erfüllen kann.

Kapitel 2: Der Mensch als Differenzierungsfaktor

Was muss ein Mitarbeiter leisten, um sich zu einem Differenzierungsfaktor zu entwickeln? Er sollte vor allem in der Lage sein, Sekundär- oder Ersatzstrategien emotional umzusetzen. Entscheidend ist: Während Primärstrategien vor allem produktgetrieben sind, sind Sekundärstrategien aufgrund ihrer Kommunikations- und Serviceorientierung vor allem mitarbeitergetrieben.

Mit mitarbeitergetriebenen Sekundärstrategien positive Kundenerfahrungen prägen

Weil sich Produkte – mit dem Begriff „Produkt“ sind hier immer auch Dienstleistungen mit gemeint – immer mehr annähern, wird es für die Unternehmen immer schwieriger, eine Primär- oder Produktstrategie zu implementieren, bei der sich zum Beispiel ein Produkt mit seinen einzigartigen Eigenschaften von anderen abhebt.

Sie müssen auf Sekundärstrategien ausweichen, bei denen weniger die Produktmerkmale in den Fokus rücken, sondern Aspekte wie „besserer Service“ und der „Einkauf als Event und Erlebnis“. Somit rücken Aspekte in den Fokus, die nicht allein mit dem Produkt an sich in einem Kontext stehen. Die Unternehmen sollten darum Erlebnis-, Service- und Kommunikationsstrategien kreieren, um mit deren Hilfe in der Wahrnehmung des Kunden den Status der Einzigartigkeit und Alleinstellungsmerkmale aufzubauen. Demnach müssen immer dort, wo es nicht möglich ist, strategische Wettbewerbsvorteile über das Produkt aufzubauen, Service- und Kommunikationsstrategien, also Sekundärstrategien genutzt werden, um zu eben jenen strategischen Wettbewerbsvorteilen zu gelangen.

Ein strategischer Wettbewerbsvorteile muss ein für den Kunden wichtiges Leistungsmerkmal betreffen, der vom Kunden wahrgenommen werden kann. Zudem darf er von der Konkurrenz nicht schnell einholbar sein.

Somit gewinnt der Mitarbeiter für den Erfolg des Produkts beim Kunden erheblich an Bedeutung. Denn er ist es, der mit dem Kunden kommuniziert und interagiert. Vor allem ihm ist es möglich, positive Erfahrungen zu prägen – in der Bank im persönlichen Beratungsgespräch zu einem so sensiblen Bereich wie Geld- und Finanzanlagen, im Möbelhaus durch die authentische Darstellung des Kundenutzens, im Reisebüro durch die Beantwortung der Fragen, die dem Kunden unter den Nägeln brennen, in so sensiblen Gesprächssituationen wie etwa der Reklamation, in denen der Kunde Feinfühligkeit und Sensibilität erwartet und verlangt. Und natürlich sollte er alle digitalen Möglichkeiten nutzen, um positive Kundenerfahrungen zu prägen.

Die Customer Experience Journey emotionalisieren

Die Customer Experience Forschung besagt, dass sich in den Momenten der Wahrheit (Moments of truth) entscheidet, ob ein Kunde bleibt oder geht, ob er eine lebenslängliche Kundenbeziehung einzugehen bereit ist oder ob er das Angebot des Wettbewerbs prüft und zur Konkurrenz wechselt. Das Institut für Marktorientierte Unternehmensführung (IMU) an der Universität Mannheim hat in Untersuchungen zum Customer Experience Management belegt, dass es vor allem der Servicemitarbeiter ist, der für die Prägung positiver Kundenerfahrungen verantwortlich zeichnet. Von besonderer Relevanz ist die Emotionalisierung der Kundenkontakte – es sind vorrangig die Mitarbeiter, die für eine erfolgreiche Customer-Experience-Strategie die notwendige Emotionsarbeit leisten müssen.

Die IMU-Forschungen lassen es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass Kunden auf ihrer ‚Reise durch das Unternehmen‘ (Customer Experience Journey) dann positive Emotionen und ein Vertrauensverhältnis zum Unternehmen aufbauen, wenn sie sich in der Interaktion und Kommunikation mit den Mitarbeitern wohl und gut aufgehoben fühlen. Sicherlich müssen die Unternehmen auch die digitalen Kundenkontaktpunkte optimal gestalten – selbst die, in denen es nicht zu zwischenmenschlichen Begegnungen kommt. Sie sollten aber insbesondere dafür Sorge tragen, dass über die Kontakte ‚von Mensch zu Mensch‘ vertrauensvolle persönliche Beziehungen entstehen können.

In einem Artikel über die Finanzindustrie und Online-Banken bestätigt ein Teilhaber an einer Online-Bank, dass auch bei diesen „Vertrauen (…) das höchste Gut“ und das neben internen Kontrollsystemen der Kundenservice erfolgsentscheidend sei. Und Vertrauen lässt sich primär über gute Beziehungen zwischen Menschen herbeiführen: über gute Beziehungen zwischen dem Kunden und einem Mitarbeiter.

Mit persönlichen und vertraulichen Beziehungen Kunden binden

Indem ein Unternehmen die Kundenbeziehung entlang der gesamten Customer Journey optimiert und alle, auch die digitalen, Kundenkontaktpunkte nutzt, um den Kunden emotional und langfristig zu binden, baut es Vertrauen auf und erhöht den Loyalitätsfaktor des Kunden. Es ist die Frage, ob es einer Maschine, einem Algorithmus oder einem Roboter gelingen kann, über die Erzeugung von Emotionen und die Gestaltung eines Einkaufs als Event Menschen auf eine ähnliche Weise zu begeistern und an das Unternehmen zu binden.

Mitarbeitern kann der Vertrauensaufbau gelingen, indem sie Serviceleistungen, mit denen der Kunde nicht rechnet, aktiv und offensiv ansprechen, und zwar situativ, mithin bezogen auf die konkrete Kundensituation. Dabei genügt es nicht, wenn nur die Mitarbeiter servicebezogen agieren: Die organisationalen Rahmenbedingungen müssen entsprechend ausgerichtet sein. Erst dann ist es den Mitarbeitern möglich, servicebezogen zu agieren.

Auf der anderen Seite genügt es nicht, wenn zwar das organisationale Umfeld auf die Erbringung von Serviceleistungen ausgerichtet ist, die Mitarbeiter es dann aber nicht verstehen, diese Ausrichtung am Point of Sale und auch digital mit Leben zu füllen. Immer sind es die Mitarbeiter, sind es die Menschen, die sich als Träger der Serviceorientierung bewähren müssen.

Ähnliches gilt für die Erlebnisstrategien, mit denen der Einkauf an den Kundenberührungspunkten als Event gestalten werden kann: Nur durch kompetente und serviceorientierte Mitarbeiter wird die Service- und Erlebnismentalität für den Kunden wahrnehmbar und erlebbar. Begeisternder Service und eine hohe Erlebnisqualität beim Einkauf führen zu einem inneren und emotionalen Beteiligtsein des Kunden. Für dieses „Beteiligtsein“ hat sich in der Theorie des Käuferverhaltens der Fachbegriff des „Involvement“ etabliert.


Involvement liegt vor, wenn ein Kunde eine emotionale Beteiligung beim Produktkauf verspürt. Diese emotionale Beteiligung wird wahrscheinlicher, wenn die Mitarbeiter ihre Kommunikationskompetenz nutzen, um sich sprachlich in die Vorstellungswelt eines Kunden zu begeben. Die Kommunikationskompetenz der Mitarbeiter ist ein weiterer entscheidender Faktor beim Aufbau gelungener Kundenbeziehungen. Kunden nehmen das Unternehmen immer häufiger nicht mehr indirekt über seine Endprodukte wahr, sondern in vergleichsweise direkterer Form über den Kontakt zu seinen Mitarbeitern, die als Leistungsträger fungieren. Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg sind damit unmittelbar an das Verhalten des Personals gekoppelt.

Mitarbeiter, die es verstehen, den Kunden auf der kommunikativen Ebene individuell, sinnenspezifisch und multisensorisch anzusprechen und ein auf die Kundenerwartungen ausgerichtetes Beratungs- und Verkaufsgespräch zu führen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass dieser die Beziehung positiv bewertet. Denn dann spürt und merkt er, dass der Verkäufer den Dialog mit ihm vor allem nutzen will, um seine Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse zu erfahren und zu befriedigen.
Der Versuch, ein Produkt oder eine Dienstleistung mithilfe von Service-, Erlebnis- und Kommunikationsstrategien in der Kundenwahrnehmung von Konkurrenzangeboten zu differenzieren, setzt besondere Kompetenzen auf Mitarbeiterseite voraus. Denn es sind die Mitarbeiter, die als unmittelbare Träger der Kundenkommunikation die Umsetzung der Sekundärstrategien leisten müssen. Das wirft die Frage auf, welche Initiativen und Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit Mitarbeiter diese Leistungen erbringen können.

Kapitel 3: Die Entwicklung des Mitarbeiters zum Differenzierungsfaktor

Entscheidend ist, dass die Geschäftsleitung und das Management die Mitarbeiter in die Lage versetzen müssen, genau diejenigen Kompetenzen aufbauen und umsetzen zu können, die notwendig sind, um im Rahmen der Sekundärstrategien positive Kundenerfahrungen zu prägen. Ein Beispiel: Im Rahmen der Verwirklichung der Serviceorientierung legt die Unternehmensleitung die entsprechenden Strategien fest und hat die Aufgabe, sie umzusetzen. Zudem liegt es in ihrer Verantwortung, den Mitarbeitern durch die entsprechenden Qualifikationen diejenigen Kompetenzen zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, ungewöhnliche, aber differenzierende Serviceleistungen kundenorientiert ausführen zu können. Das gilt für alle Sekundärstrategien.

Dazu definieren die verantwortlichen Führungskräfte die dafür notwendigen Kompetenzen und entwickeln ein Kompetenz-Sollprofil, um in einem nächsten Schritt den Kompetenz-Istzustand zu analysieren. Die vorhandenen Kompetenzlücken oder Kompetenzgaps werden durch die entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen geschlossen (vgl. dazu Scheelen, Bigby 2011: Kompetenzorientierte Unternehmensentwicklung). Je mehr Kundenkontakte ein Mitarbeiter hat, desto intensiver sollten diese Schulungen ausfallen. Besondere Aufmerksamkeit kommt den Mitarbeitern zu, die im direkten Dialog mit den Kunden stehen und über ihr Verhalten im Beratungs- und Verkaufsgespräch die Kundenwahrnehmung unmittelbar und direkt beeinflussen.

Weiterbildung als elementarer Bestandteil der Differenzierung vom Wettbewerb

Bei der Realisierung der Strategie, den Menschen als Differenzierungsfaktor zu etablieren, um strategische Wettbewerbsvorteile zu generieren, spielen der Ausbildungs- und Weiterbildungsaspekt eine essentielle Rolle. Insbesondere Unternehmen, die Commodities vertreiben, müssen kontinuierlich in den Kompetenzaufbau der Mitarbeiter investieren, um sich auf einem dynamischen Markt, in dem das Online-Business immer mehr dominiert, behaupten zu können. Dabei sollten die maßgeschneiderten Weiterbildungskonzepte so aufgebaut sein, dass mit ihnen rasch und agil auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagiert werden kann.
Eine mögliche Lösung ist das sogenannte Micro-Learning – das Lernen mithilfe kurzer und verdichteter Lernmodule oder Micro-Einheiten wie etwa Erklärvideos. Durch interaktive Elemente werden die Lernenden zum intensiven Selbstlernen angeregt. Der Vorteil ist, dass die Teilnehmer die Micro-Einheiten nutzen können, um sich zum Beispiel zwischen zwei Kundengesprächen auch mobil (Mobile Learning) etwa während der Fahrt zum Kunden auf aktuelle Aufgaben und ein Kundengespräch vorzubereiten.

Weiterbildungskultur etablieren

Unternehmen, die strategische Wettbewerbsvorteile mithilfe strikt kundenorientierter Mitarbeiter generieren möchten, sind auf leistungsstarke und leistungswillige Mitarbeiter auf allen Ebenen angewiesen. Erfolgsentscheidend sind darum der Wille und die Bereitschaft der Geschäftsleitung und des Managements, eine stringente Weiterbildungskultur im Unternehmen zu etablieren. Nur dann können sich die Mitarbeiter, die im Kundenkontakt stehen, so weiterentwickeln, dass sie mithilfe ihrer Kompetenzen Kunden überzeugen, emotional begeistern und an das Unternehmen langfristig binden können. So kann es einem Unternehmen gelingen, sich im Wettbewerb mit dem Online-Handel zu differenzieren und durchzusetzen.
Dazu ist es notwendig, dass die Führungskräfte motivatorische Anreize mit dem Ziel setzen, dass die Mitarbeiter die Weiterbildungsangebote mit Engagement nutzen und das Erlernte rasch anwenden können und wollen.

Es liegt in der Verantwortung der Leitenden, die Voraussetzungen für eine effektive Mitarbeiterweiterbildung zu schaffen. Der Grund dafür: Unternehmen sind heute mehr denn je auf mündige, emanzipierte Mitarbeiter angewiesen, die sich und ihr Handeln voll und ganz in den Dienst des Unternehmens stellen. Die Bereitschaft dazu kann nur dann erwartet werden, wenn dem Einzelnen durch die Bereitstellung entsprechender Informationen erleichtert wird, seine Lage sowie Aussichten im Unternehmen eigenständig zu beurteilen.

Das heißt: Wer mündige und eigenständig agierende Mitarbeiter wünscht, muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit diese eigenverantwortlich im Rahmen einer Sekundärstrategie ein persönliches und von Vertrauen geprägtes Verhältnis zu den Kunden aufbauen und deren Wahrnehmung so beeinflussen können, dass sie mit dem Produkt ein Alleinstellungsmerkmal konnotieren, das nicht im Produkt selbst begründet ist, sondern in der außergewöhnlichen Leistung des Mitarbeiters.

Schlussbetrachtung

Die Frage, inwiefern sich auch in Online-Zeiten der Mensch als Unterscheidungsfaktor etablieren und sich so ein strategischer Wettbewerbsvorteil generieren lässt, ist differenzierend zu beantworten. So gibt es zum Beispiel branchenabhängige Unterschiede.

Grundsätzlich gilt: Überall dort, wo es im stationären Einzelhandel zu direkten Kontakten zwischen Kunden und Mitarbeitern kommt, also auch zwischenmenschliche Interaktionen erfolgen, kann es entsprechend motivierten und ausgebildeten Mitarbeitern gelingen, eine emotional gefärbte Beziehung zu einem Kunden in Gang zu setzen. Sekundär- oder Ersatzstrategien – also Erlebnis-, Service- und Kommunikationsstrategien – helfen dabei, dass Mitarbeiter Vertrauen ‚von Mensch zu Mensch‘ aufbauen. Das gilt insbesondere für den direkten analogen Kontakt im Beratungs- und Verkaufsgespräch von Angesicht zu Angesicht, aber auch für digitale Interaktionen, in denen Mitarbeiter über die sozialen Netzwerke und die digitalen Kommunikationskanäle mit Kunden interagieren.

Indem Mitarbeiter ein Wir-Gefühl zwischen den Kunden und ihnen kreieren, Einkaufserlebnisse mit emotionalen Konnotationen herbeiführen und mit Herzlichkeit, Freundlichkeit, Höflichkeit, Zuvorkommenheit und Empathie zur Entstehung eines Vertrauensverhältnisses beitragen, ist es durchaus möglich, gegenüber dem Online-Business einen strategischen Wettbewerbsvorteil und Alleinstellungsmerkmale aufzubauen.

Damit qualifizierte und engagierte Mitarbeiter, die den Kunden wahrhaft verstehen können und verstehen wollen, mithilfe ihrer Fachkompetenz (etwa kompetente Warenerklärung und Produkterklärung), Beziehungskompetenz (etwa Freundlichkeit) und emotionalen Kompetenz bzw. Sozialkompetenz (etwa positive Gesprächsatmosphäre herstellen) Kunden begeistern können, ist es zwingend notwendig, sie entsprechend aus- und weiterzubilden.

Auch im digitalisierten Zeitalter, in dem Online- und Offline-Welt immer mehr zusammenwachsen, spielen in Beratung und Verkauf Tugenden wie Vertrauen, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit eine Hauptrolle. Das zeigt sich immer dann, wenn es zu Komplikationen kommt, etwa im Reklamationsfall. Wichtig sind dann Mitarbeiter mit menschlichem Antlitz und der Fähigkeit zur emotionalen Zuwendung, die sich emotional in die Wahrnehmungs- und Vorstellungswelt von unzufriedenen Kunden stellen und nachvollziehen können, was diese bewegt und kalt lässt, ärgert und erfreut, wütend und stolz macht.

Differenzierungs- und Alleinstellungsmerkmale lassen sich nur mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern aufbauen, die zur Emotionsarbeit willens und fähig sind. Management und Führungskräfte müssen für die dafür notwendigen motivatorischen Anreize sorgen und Weiterbildungsaktivitäten entfalten, mit denen Mitarbeiter die erforderlichen Kompetenzen erwerben können. Allerdings: Die Frage ist, ob dies angesichts einer Entwicklung, bei der Mitarbeiter zunehmend als Kostenfaktor gesehen werden, möglich ist, und nicht vielmehr ein Umdenken oder gar ein Paradigmenwechsel unerlässlich ist. Ein Mitarbeiter muss wieder verstärkt als Leistungsfaktor gesehen werden, mit dem sich strategische Wettbewerbsvorteile aufbauen lassen. Dieser Diskussion muss sich der Handel in der Zukunft verstärkt stellen, um tragfähige Antworten zu formulieren.

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