Das einzige, was im Verkauf stört, ist der Kunde?

Das einzige, was im Verkauf stört, ist der Kunde?

Das einzige, was im Verkauf stört, ist der Kunde?


 

Oft erleben wir bei Kundenbefragungen zwei Extreme: Den Kunden, der nicht angesprochen werden möchte und der Kunde, der gerne angesprochen worden wäre, es aber nicht wurde. In beiden Fällen kommt kein Verkauf zustande und dem Unternehmen entgehen Einnahmen.

Kürzlich erschien in der Süddeutschen Zeitung online ein Artikel der Protokollserie „Wie ich euch sehe“ der Beitrag eines Verkäufers in einer Herrenbekleidungsabteilung. Der Grundtenor des Artikels liest sich folgendermaßen:

„Ich will euch beraten und ihr macht nicht mit!“

Kann ich Ihnen behilflich sein?

Wo aber lauern die Fallstricke im Verkaufsgespräch? Oft beginnt der Gespräch erst gar nicht, weil die Ansprache nicht funktioniert.

Ich bin Verkäufer aus Leidenschaft und berate sehr gerne. Deshalb solltet ihr, wenn ihr zu mir ins Geschäft kommt, auch mein Angebot annehmen, wenn ich euch frage, ob ich helfen kann. Ich mag es nicht, wenn Kunden einfach nur sagen „Nee, ich gucke nur“.

Niemand mag es, abgewiesen zu werden. Im Verkauf ist es jedoch so, dass die Frage „Kann ich Ihnen helfen?“ oder eine ihrer unzähligen, abgeschmackten Varianten schon seit etwa 30 Jahren so nicht mehr funktioniert, falls sie es denn je getan hat. Die Antwort auf eine solche Frage kann mit viel Glück „ja“ lauten. Oder eben überproportional häufig „nein“. Auch „Mir ist nicht zu helfen“ soll schon vorgekommen sein. Weiterhin stur seine Hilfe anzubieten, anstatt sich auf den Kunden einzustellen, zeugt unter Umständen weniger von gemeinen Kunden als von der eigenen mangelnden Flexibilität.

Sind nur die Kunden an Fehlkäufen schuld?

Ich will niemandem etwas aufschwatzen, sondern helfen. Dann passieren euch auch keine Fehler. Kürzlich musste ein Kunde seine Jacke umtauschen, weil sie nicht wasserdicht war. Das hätten wir ihm gleich sagen können – wir Verkäufer kennen unser Sortiment. Wenn auf einem Kassenzettel eine 9 steht, dann sehen wir, dass kein Verkäufer euch beraten hat. Also fragt uns einfach, dann gibt es keine Fehlkäufe.

Häufig steht auf dem Kassenzettel aber auch irgendeine Nummer, die ein Verkäufer noch schnell auf das Etikett schreibt, während sich der Kunde mit seine  (potentiell fehlerhaften) Auswahl, die er ohne die barmherzige Hilfe des Verkäufers getroffen hat, zur Kasse begibt. Da bleibt die Frage, ob es hier wirklich um Hilfe geht, oder darum, die Provision zu bekommen, ohne dafür etwas geleistet zu haben. Umgekehrt gibt es auch Kunden, die ihren Fehlkauf nicht etwa ihrem eigenen, schlechten Händchen, sondern der falschen Beratung eines Verkäufers verdanken. Unzählige Schrankleichen in den Kleiderschränken und Ankleidezimmern der Republik können davon zeugen, denn den größeren Aufwand bedeutet es sicherlich, extra in den Laden zurückzukehren, um sich mit dem Umtausch herumzuschlagen. Wenn Kunden lieber einen Fehlkauf riskieren, anstatt sich beraten zu lassen, was sagt das darüber aus, wie sie die Hilfe des Verkaufspersonals wahrnehmen?

Der verwirrte Kunde.

Leider wissen viele Kunden oft nicht, was sie wollen – die kann auch ich nicht beraten. Aber auch Männer können wissen, was ihnen gefällt. Da hilft es schon, wenn ihr ein Foto aus einer Zeitschrift mitbringt oder mir auf dem Handy zeigt, was ihr sucht. Viele von euch werden immer gesättigter. Oder wie viele Jeans habt ihr schon im Kleiderschrank?

Auf Grund der geringen Einkommenselastizität, des hohen Versorgungsniveaus, der starken Preissensibilität der Verbraucher sowie der wachsenden Konkurrenz durch das Internet werden sich die Verschiebungen zu Lasten der Ausgaben für Bekleidung fortsetzen. Prognosen gehen unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklungen und der Konsumgewohnheiten in den verschiedenen Lebenszyklen der Verbraucher davon aus, dass die Ausgabenanteile für Nahrung, Bekleidung und dauerhafte Gebrauchsgüter weiter zurückgehen werden. Hier wird also nicht ganz klar, ob der anonyme Verkäufer sich beklagt, weil die Kunden in den Laden kommen, ohne zu wissen, was sie mögen, wollen oder brauchen – in dem Falle könnte man von einer Chance sprechen – oder ob er der Ansicht ist, dass die Kunden eigentlich gar nichts brauchen, weil sie bereits alles besitzen. Sich über die Sättigung potentieller Kunden zu beschweren, die einem letztlich die Butter aufs Brot bringen, scheint jedoch schon fast schizophren.

Wer tauscht schon gerne um?

Was das Thema Umtausch betrifft: Es ist absolut nicht in Ordnung, wenn ihr einen auf Kindergröße geschrumpften Filzklumpen zurückbringt und behauptet, ihr hättet das Stück mit der Hand gewaschen. Ich sehe auch sofort, wenn eine Jacke, die ihr umtauschen wollt, getragen wurde. Dann ist das Innenfutter zerknittert. Manchmal stinken die Sachen richtig. Das finde ich schon sehr dreist. Überhaupt, dieser ganze Umtauschwahnsinn nervt. Schließlich ist Ware reduziert, weil sie abverkauft werden soll und wir sie nicht drei Wochen später wieder im Laden haben wollen. Es ist reine Kulanz, wenn wir die Sachen zurücknehmen. Also achtet bitte darauf, dass das Etikett noch dran ist. Und kommt mir bitte nicht mit Paragrafen: Es gibt kein Umtauschrecht, nur die Gewährleistung. Ich kenne die Gesetzestexte zum Vertragsrecht, ich habe sie in meiner Ausbildung gelernt.

Und dass der Umtauschwahn nervt, sehen nicht nur Verkäufer so. Auch manchen Kunden bricht der kalte Schweiß aus, wenn tatsächlich etwas umgetauscht werden muss. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich von einer 120-Euro-Cordhose berichten, die nach der ersten Wäsche (nein, nicht in der Kochwäsche) nicht einmal mehr die Knöchel des Besitzers bedeckte. Sie wurde nicht zurückgenommen, „weil sie schon mal gewaschen wurde“. Oder auch das Poloshirt aus dem Sale, das trotz Loch am Bündchen (noch vor der ersten Wäsche entdeckt) nicht zurückgegeben werden konnte. Weil es ja reduziert gewesen war. Das sind nur zwei Erlebnisse, aber jeder Konsument hat bereits ähnliche Erfahrungen gemacht, gekrönt von Verkäufern, an deren Miene man deutlich ablesen konnte, wie sehr der Umtauschwahn gerade nervt. Ist es da ein Wunder, dass viele Kunden dem stationären Handel den Rücken zukehren und dem Internet den Vorzug geben, wo eine Rückgabe ohne Angabe von Gründen möglich ist?

Wir sind hier nicht auf dem Basar.

Furchtbar finde ich auch, wenn ihr handeln wollt: „Kann man da noch was im Preis machen, wenn ich drei Jacken kaufe?“ Nein! Wir wollen fair zu allen Kunden sein und allen den gleichen Preis anbieten. Und so hoch, wie ihr denkt, sind die Margen im Einzelhandel nicht. Ein Teil, das im Laden 100 Euro kostet, kostet im Einkauf 30 bis 40 Euro – je nach Marke. Auch mein Gehalt muss von der Differenz bezahlt werden. Zu viele Rabatte machen uns das Geschäft kaputt.

Ja, das ist tatsächlich eine furchtbare Entwicklung. Jahrelang waren die roten Preise das Verkaufsargument überhaupt, um zu werben und Kunden anzulocken. Zugeschmissen hat man die Verbraucher mit Rabattaktionen, so lange, die Wahrnehmung sich dahingehend verschoben hat, dass der Normalpreis immer zu hoch und ein Rabatt jederzeit drin ist, und dass derjenige, der nicht fragt, dumm ist und übers Ohr gehauen wird. Geiz ist geil. Jetzt sind Rabatte aber irgendwie doch blöd, obwohl zahlreiche Aktionen wie der kürzlich entdeckte „Black Friday“ oder an den Haaren herbeigezogene Gründe wie „Back to school“ wieder mit, ja was wohl? Rabatten locken sollen. Die Konsumbereitschaft sinkt, der stationäre Handel hat es schwerer, nun ist ein Paradigmenwechsel erwünscht. Die Ware ist nicht mehr billig, sondern wertvoll, Geiz ist nicht mehr erwünscht und Handeln erst Recht nicht. Nur der Kunde hat es immer noch nicht verstanden. Es ist übrigens möglich, in einem Rabattgespräch so zu argumentieren, das am Ende alle zufrieden sind, nur sollte man dann bitte nicht „Mein Gehalt muss von der Differenz bezahlt werden“ als Hauptargument verwenden. Wenn es keinen Rabatt gibt, welchen Nutzen hat Ihr Kunde davon, wenn er heute bei Ihnen kauft? Dass er Ihr Gehalt damit bezahlt, ist kein Nutzenargument!

Wie spricht man Kundenfreundlichkeit aus?

Ich sehe es euch nach, wenn ihr die Namen von Kleidermarken nicht richtig aussprechen könnt. Aber manchmal erlebe ich schon abstruse Situationen. Eine Kundin hat mich einmal nach „Drei-Balken-Sprit“ gefragt. Sie meinte Esprit. Oder die Frage nach Sir Olivier, mit langem „E“ am Ende. Keiner ist perfekt, aber versucht doch bitte wenigstens, die Namen richtig auszusprechen. Bei Prosecco und Gnocchi gelingt es euch doch auch. Und hier im Laden heißt das rot-weiß-blaue Label eben Tommy Hilfiger und nicht Tommy Hilfinger. Da ist kein „N“!

„Ich bin Verkäufer aus Leidenschaft…“

Übrigens, liebe Männer: Es kann tatsächlich sein, dass ihr zugenommen habt, wenn ihr nicht mehr – wie bisher – in Größe 52 hineinpasst. Aber eine Tatsache ist auch, dass alle Hersteller ihre Schnitte verschmälern. Ihr dürft also ruhig nach einer Nummer größer fragen. Aber keine Sorge. Wenn ihr euch das nicht traut, gebe ich euch gerne ungefragt eine größere Größe dazu: „Probieren Sie doch mal die hier!“

„… und berate sehr gern.“

Der Beweis für diese Behauptung steht noch aus.

„Prof. Norbert Hans, wie behandelt man Kunden denn nun richtig?“

„Eigentlich muss es gar nicht so schwierig sein: Man verhält sich so, als wenn man einen Gast zu sich nach Hause eingeladen hat. Das ist die sogenannte ‚Gastgeber-Attitüde‘. Man heißt ihn willkommen und freut sich.“

„Was bedeutet das im Einzelnen?“

„Man unterstützt seinen Gast, man fordert keine Belege und man fühlt sich ein.“

„Und was darf ich ihm anbieten?“

„Bevor Sie Ihrem Gast irgendetwas anbieten können, sollten Sie erst einmal herausfinden, was er eigentlich möchte. Man drängt seinem Gast nichts auf, was er nicht mag und man verurteilt ihn nicht, wenn er etwas möchte, das man selbst nicht mag. Das kann ein Verkäufer auch!“

„Wenn man sich als Gastgeber aber solche Mühe gibt…“

Einen Gast interessiert es nicht, was Essen und Trinken gekostet haben, genauso wenig, wie sich der Kunde für das Gehalt des Verkäufers interessiert. Die Verantwortung dafür liegt beim Unternehmen, nicht beim Kunden. Übrigens, machen Sie sich über Ihre Gäste insgeheim lustig, wenn sie etwas falsch aussprechen?“

„Selbstverständlich nicht. Ich mag meinen Besuch ja und möchte, dass er sich wohlfühlt!“

„Sehen Sie, mit dieser Einstellung liegen Sie auch im Verkauf richtig!“

Den kompletten Artikel (und warum rosa, lila und „rentnerbeige“ gar nicht gehen) finden Sie hier.